Freitext (digital)

ACHTUNG! Die Haslacher Wundertüte hat ein Ende der Reihe Freitext live ab Ende 2019 beschlossen! Wenn wir diese wieder aufnehmen sollten, geben wir es bekannt.

Seit 2021 haben wir nun #Freitext digital gestartet! Wenn es im Rahmen der Pandemie anklang findet, wird dies monatlich stattfinden.

Auf dieser Seite veröffentlichen wir die bei unserem offenen Literaturforum vorgetragenen Texte (nur die tatsächlich gelesenen Texte/Passagen) und verlinken sie mit Blogs oder Autorenseiten. (immer mit Einverständnis der Autorinnen und Autoren.)

11.11.2016 FREITEXT #1

gelesen haben: Elena Erat, David Lorenz, Elvira Nüchtern, Regina Frey, Joachim Ludwig, Juliano Gerber, Amla Kalina Rießler, Uschi Wiegering, Florian Feucht, Ingvo Broich, Ludger Christian Albrecht

Texte:

Alma Kalina Rießler

Kraísat (Roman – Textauszug)

Die vier Drachen wachen über Gaërien, sie sind die Hüter des Friedens und der Gerechtigkeit. Doch Gaërien ist gespalten: Zwischen Gaërern und Vandorern, zwischen Rebellen und Anhängern des Fürsten. Aus Hass, Angst und Verzweiflung sind die Kraísat entstanden, Schattenkreaturen, die sich von der Energie anderer ernähren. Von ihnen wurden die Drachen in einen unfreiwilligen Schlaf versetzt, und die Vandorer vergaßen die Drachen.

Auch Alexander sieht in ihnen nur ein Märchen. Bis er die Gaërin Akia trifft und mit ihr gemeinsam vor dem Fürsten flieht. Mit Hilfe der Kraísat hat der Fürst Akias gesamtes Volk versteinert. Nur die Drachen haben die Macht, die Kraísat zu vertreiben und die Gaërer zu retten.  Akia und Alexander sind fest entschlossen, die Drachen zu wecken und so die Gerechtigkeit wiederherzustellen. Doch der Fürst lässt überall nach ihnen suchen…

Als die Sonne sich langsam zum Horizont senkte, erreichten sie endlich die Mauern der Stadt. Zu ihrem Entsetzen mussten sie feststellen, dass man die Tore bereits geschlossen hatte. Die Vorstellung von einer Nacht in Sicherheit, von einem weichen Bett und einer warmen Mahlzeit, zerbarst vor ihren Augen. Alexander fluchte laut, sein Blick glitt die Mauern empor. Sie waren hoch und glatt, fast unmöglich zu erklimmen.

»Oh nein, mein Freund, Klettern wäre bloße Zeitverschwendung. Diese Mauern sind extrem stabil und gut gerüstet.«

Alexander drehte sich um und sah einen älteren Mann hinter den Toren stehen, in der Uniform der Wachmänner. Er beobachtete die beiden genau.

»Bitte«, hörte der Junge Akia sagen. »Wir können nirgendwo sonst bleiben.«

Der Wachmann leckte seine Lippen und überlegte einen Moment. »Ihr seht wirklich erschöpft aus. Und es heißt schließlich: Keine Regel ohne Ausnahme. Ich könnte euch ausnahmsweise in die Stadt lassen, ihr könnt bei mir essen und euch ausruhen.«

»Vielen, vielen Dank«, meinte Alexander erschöpft und stieg von seinem Pferd.

Der Wachmann schloss das Tor auf und führte sie in die Stadt, die Pferde trotteten hinter ihnen her. Alle Straßen, durch die sie kamen, waren vollkommen verlassen.

»Wieso ist alles so still?«, fragte Akia.

»Neue Verordnung des Fürsten. Er möchte die Stadt abends nur für seine eigenen Leute offen haben.«

»Warte.« Alexander war stehengeblieben. »Heißt das, er ist hier?«

Der Wachmann nickte. »Aber macht euch nicht zu viele Sorgen. Er sucht nur irgendwelche Banditen, die ihm abgehauen sind. Die Zeit für Steuerzahlungen ist noch nicht gekommen.«

Alexander und Akia tauschten einen schockierten Blick. Der Wachmann sah die beiden an und runzelte die Stirn. »Wir sollten schneller gehen, es ist nicht mehr weit.«

Bald kamen sie zu einem kleinen aber gepflegtem Haus. Der Wachmann schloss die Tür auf und rief nach seiner Frau. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht kam sie und machte sich an die Arbeit. Die Gemüsesuppe, die für die Gäste gekocht wurde, schmeckte wie der Saft des Lebens. Sie schlugen sich den Bauch voll und legten sich dann in frisch gemachte Betten. Der Schlaf kam fast sofort.

»Und du bist dir sicher, absolut sicher, dass sie das sind, was du von ihnen denkst?«

»Absolut.«

Alexander öffnete die Augen, als die Stimmen in sein Bewusstsein drangen. Die eine Stimme erkannte er, die des Wachmannes, der ihnen geholfen hatte. Er blieb still liegen und lauschte.

»Wenn ich heute Nacht meine Zeit und meine Männer verschwendet habe, trägst du das auf dem Gewissen.«

»Ich weiß, aber ich bin mir sicher. Ich habe es an ihren Gesichtern abgelesen, als sie von der Anwesenheit unseres allmächtigen Herrschers erfuhren.«

Der Junge setzte sich auf, alle Müdigkeit sofort verflogen. So leise er konnte schlich er aus dem Bett und rüttelte Akia wach. Sie öffnete die Augen und machte Anstalten, etwas zu sagen, doch er hielt ihr eine Hand vor den Mund. Die Stimmen wurden wieder laut.

»Wir werden uns nun selbst davon überzeugen, dass du die Wahrheit sprichst. Wenn das wirklich die beiden sind, nach denen wir suchen, wirst du belohnt werden. Wenn nicht, droht Strafe.«

Akias Augen weiteten sich. Sie sprang aus dem Bett. Der Junge war nun froh, mit seiner ganzen Kleidung geschlafen zu haben, denn er brauchte nur das Schwert zu greifen und in Schrittstellung zu gehen. Auch Akia war fertig für einen Kampf. Ihr Schwert lag griffbereit neben ihr und sie zielte mit dem Bogen auf die noch verschlossene Tür. Dahinter hörten sie die Holzdielen unter vielen Füßen knarzen. Die Türangel quietschte und Alexander umklammerte sein Schwert noch fester. Dann flog die Tür auf und Soldaten mit gezückten Waffen stürmten in den Raum. Akias erster Pfeil sauste an Alexander vorbei und traf den vordersten Soldaten an der Schulter, während die restlichen weiter vordrangen. Es war klar, dass sie keinen Kampf erwartet hatten, sondern nur eine stille Festnahme ohne Gegenwehr. Doch genauso klar war, dass Alexander und Akia keine Chance gegen die voll ausgebildeten Soldaten hatten. Sie würden fallen, früher oder später. ›Eher früher als später‹, dachte der Junge, als ein stämmiger Soldat auf ihn zukam. Er hob sein Schwert, Metall traf auf Metall. Alexanders Gegner drückte sein ganzes, und gewaltiges, Gewicht gegen seine Waffe und der Junge war gezwungen, zur Seite zu weichen, wobei er auf einen anderen Soldaten stieß. Beide Waffenbrüder kamen nun auf ihn zu und es gab keine Hoffnung. Doch kapitulieren würde er nie.

Alexander sprang nach vorne. Der Soldat hatte anscheinend keinen Angriff erwartet, denn er war zu langsam. Alexanders Schwert knallte auf seinen Kopf und der Mann sank bewusstlos zu Boden. Dann drehte der Junge sich zum anderen Soldaten um, der schon seine Waffe erhoben hatte und auf ihn zustürmte. Der Junge konnte gerade noch ausweichen, doch das feindliche Schwert hatte in seine Wade geschnitten. Er hielt die Lippen aufeinander gepresst und gab keinen Mucks von sich. Stattdessen verlagerte er sein Gewicht auf das andere Bein und stieß das Schwert in die Schulter des Soldaten, der laut aufheulte und sich auf ihn schmiss. Ein weiterer Soldat kam ihm zur Hilfe und der Mann, den Alexander bewusstlos geschlagen hatte, war nun auch wieder auf den Beinen. Alexander kämpfte unermüdlich weiter. Bis er einen Schwerthieb auf den Kopf abbekam und in die Dunkelheit sank.

Als der Junge ein paar Augenblicke später aus seiner Ohnmacht erwachte, fühlte er etwas kaltes an seiner Kehle und feuchten Atem in seinem Nacken. »Bleib still«, sagte eine Stimme. Alexander schluckte und versuchte zu erkennen, wie sich Akia schlug. Sie durften nicht auch noch das Mädchen fangen. Sie schien alles unter Kontrolle zu haben, sie hielt drei Soldaten auf Abstand. Doch das würde sie nicht lange durchhalten.

»Halt! Ergib dich, oder er stirbt.« Die Stimme gehörte dem Mann, der sein Messer gegen Alexanders Hals gedrückt hielt. Akia drehte sich um und hielt mitten in der Bewegung inne, Entsetzen stand auf ihrem Gesicht geschrieben. Alexander schüttelte fast merklich den Kopf und hoffte, sie möge seine Nachricht verstehen. Sie musste sich retten und die Drachen wecken. Sie würde das auch ohne ihn schaffen.

Doch Akias steinernes Gesicht drehte sich zu Alexanders Wächter um. »Ich ergebe mich«, sagte sie entschlossen.

»Akia, nicht!«, schrie Alexander, doch ihr Schwert war schon mit einem lautem Klirren auf dem Boden gelandet. Sie schaute ihm fest in die Augen und ihre Lippen formten Worte, die er nie vergessen würde.

›Niemals ohne dich.‹

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13.01.2017 FREITEXT #2

gelesen haben: Ernest Mal, Ulrich Passmann, David Lorenz, Juliano Gerber, Regina Frey

10.03.2017 FREITEXT #3

gelesen haben: Satis Shroff, Ulrich Passmann, Ernest Mal, Beate Ruf, Erika Prümm, Richard Ahbe, David Lorenz, Barbara Noack

Texte:

von Satis Shroff:

Der Verlust des Sohnes einer Mutter 

Sie betet Shiva von den Schneegipfeln an

Für Frieden auf Erden, und ihres Sohnes Wohlbefinden.

Ihr einzige Freude, ihre letzte Hoffnung,

Während sie den Terrassenacker

Auf einem schroffen Hang bestellt.

Ein Sohn, der ihr half,

Ihre Tränen zu wischen

Und den Schmerz in ihrem mütterlichen Herz zu lindern.

Ein Johnny Gurkha ist endlich unterwegs

Man hört es über den Bergen mit einem Geschrei.

Es ist ein Offizier von seiner Einheit.

Ein Brief mit Siegel und ein Pokergesicht

Eine Welt bricht zusammen

Und kommt zu einem Ende.

Ein Kloß im Hals der Nepali Mutter.

Nicht ein Wort kann sie herausbringen.

Weg ist ihr Sohn, ihr kostbares Juwel.

Ihr einzige Versicherung und ihr Sonnenschein.

In den unfruchtbaren, kargen Bergen,

Und mit ihm ihre Träume

Ein spartanisches Leben, das den Tod bringt.

Glossar:

Shiva: Gott der Zerstörung in Hinduismus

Johnny Gurkha: Eine Bezeichnung für die Nepalis die in Englands Gurkha Einheiten (z.B. King Edward’s Own Gurkha Rifles) dienen. Sie leisten auch heute noch ihren Eid auf die britische Königin und ziehen u. a. vor dem Buckingham Palast als Ehrenwache auf. Britische Gurkhas dienten in Malaysia, Indonesien (Borneo), Hongkong, Brunei, Zypern und neuerdings auch in Kosovo und Irak.

*****

Mein Alptraum (Satis Shroff)

Wenn die Nacht nicht so Kalt ist,

Wenn ich im Bett bin

Träume ich von einem entfernten Land.

Ein Land wo ein König über seinen Reich regiert

Ein Land wo es noch Bauern gibt, ohne Rechte,

Die Felder bestellen, die denen nicht gehören.

Ein Land wo die Kinder arbeiten müssen,

Und keine die Zeit für Tagträumerei haben.

Wo Mädchen das Gras schneiden

Und schwere Körbe auf dem Rücken tragen.

Winzige Füße, die steilen Wege gehen.

Ein Land, wo der Vater Holz sammelt und zerstückelt,

Die schließlich nur ein Paar Rupien bringen,

Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.

Ein Land, wo unschuldige Mädchen

Ihre rechte Hand ausstrecken,

Und werden mit Dollars belohnt.

Ein Land, wo eine Frau weiße, rote, gelbe und lila

Tabletten und Pillen sammelt,

Von den altruistischen Touristen, die vorbei laufen.

Die meisten sind weder Ärzte noch Krankenschwestern.

Dennoch verteilen Sie Pillen,

Sich ohne Gedanken zu machen über die Nebenwirkungen.

Die Nepali Frau besitzt eine Arsenal

Von potente Pharmaka.

Sie kann die fein gedruckte Hinweise nicht lesen,

Weil sie auf Deutsch, Französisch, Englisch

Oder Spanisch sind,

Die Hieroglyphen von viele ferne Grammatik.

Schwarze Buchstaben sehen aus

Wie asiatische Wasserbüffel in ihren Augen.

Kala akshar, bhaisi barabar“ sagt die Nepali Frau.

Die Gedanken, dass sie Pillen und Tabletten

An andere Kranke Nepali Mütter oder Kinder verteilt,

Macht mir Angst.

Wie gedankenlos, diese Fremden,

Die Trekker und Bergsteiger mit Bildung,

Die medizinische Almosen geben,

Und dabei die makabere Rollen von Ärzte,

Im Schatten des Himalaya, spielen.

Glossar:

Kala: Schwarz

Akshar: Buchstaben

Bhaisi: Wasserbüffel

Barabar: ist gleich wie

Santa Fe (Satis Shroff)

Ein deutscher Professor machte mir den Hof

Und sagte, dass ich trotzdem mein Kreatives Schreiben

Weitermachen dürfte,

Wenn ich ihm heiraten würde.

Ich gab ihn das Jawort,

Schenkte ihm fünf Kinder

Und hatte fürs Schreiben keine Zeit.

Ich war ewig dabei

Pampers zu wechseln,

Popos einzukremen

Für sieben Familiemitgliedern zu kochen.

Ich staubte die vielen Fenstern und Möbeln ab.

Polierte das Treppenhaus

Räumte immer die Kindersachen auf,

In einem dreistöckigen Haus.

Ich fütterte und pflegte den Kleinen,

Lobte und streichelte den Größeren.

Ich hatte plötzlich keine Zeit

Für mich und meine Belange.

Hin und wieder hatte ich eine Inspiration

Aber ich hatte keine Zeit

Und die Gedanken sind in Luft aufgelöst.

Verloren waren meine intellektuelle Kostbarkeiten,

Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang.

Eine Müdigkeit fiel über mich.

Ich war froh, wenn ich einmal gut schlief.

Der Schlaf tröstete mich nach meiner Hausarbeit.

Die Familie war zu sehr mit mir.

Eines Tages habe ich mir auf den Weg

Nach Santa Fe gemacht,

Der einzige Ort wo ich mich frei fühlte.

Frei zu denken und auszusortieren

Und sie in meinem Laptop heranwachsen zu sehen.

——————————————-

Der Makel (Satis Shroff)

Ich lebe in ständiger Angst

Entdeckt zu werden.

Meine Frau weiß es

Meine Tochter weiß es

Sonst niemand.

Ich fühle mich wie ein Versager,

Denn ich habe einen Makel.

Die Gründe liegen im Elternhaus,

Teilweise in der Schule.

Meine Eltern hatten keine Zeit für mich

Sie schufteten und schafften.

Vater kam oft mit einer Fahne.

Er schlug auf Mutter und uns.

Mein Lehrer verprügelte mich auch.

Ich bekam Lernprobleme.

Als Kind musste ich in den Feldern arbeiten,

Denn mein Vater war Bauer.

Ich wurde als Kind vernachlässigt.

Meine Mutter hätte mir geholfen,

Aber sie war Müde und ratlos.

Ich mogelte mich durch in der Schule,

Schaffte aber den Schulabschluss nicht.

So wuchs ich als Mann auf

Ohne Lesen,

Ohne Schreiben

Zu können.

Weitere Texte sind noch nicht eingestellt.

12.05.2017 FREITEXT #4

gelesen haben:  Francois Loeb, Erika Prümm, Irmhild Stein, Hermann Groteloh, Juliano Gerber, Alex Renz, Peter Kusche, Elisabeth

 

19.03.2021 Freitext digital 1

gelesen haben: Maria Bosse-Sporleder, Margit Gelhard

Margit Gelhard

Eine besondere Begegnung in Chile

Es schüttete in Puerto Montt. Mit dem Mietwagen fuhren wir einfach drauflos. Kaum machten wir irgendwo Halt, alles war grau und hässlich. Unser Ziel – fahren soweit wir kommen, um am Ende eine Unterkunft zu finden. Verschiedene Adressen von Privatpensionen (Hospedajen) im Reiseführer stellten sich als Nieten heraus. Allein in Puerto Octay am Lanqihue-See waren es drei. Eine war von außen alles andere, als einladend, bei den anderen bekamen wir Absagen. Sie seien ausgebucht, weil Off-Shore-Arbeiter bei Ihnen die Freizeit verbringen würden oder die Saison zu Ende sei und sie jetzt nicht mehr vermieten wollten. Uns wollte also niemand.
Bei der 4. sollte es über dem Lebensmittelmarkt auch eine Unterkunft geben. Wieder Fehlanzeige, doch die Frau meinte, wir sollten gegenüber auf dem Hügel mal nachfragen. Mittlerweile war es dunkel, regnete aber nur noch leicht. Wir machten uns auf, den Hügel, in völliger Dunkelheit durch ein Wäldchen zu erklimmen. Mulmig war uns schon, doch hatten wir eine Wahl? Es war ein hohes Holzhaus, was wir gegen den Himmel erkennen konnten, scheinbar recht alt. Nur auf der Rückseite ein Licht. Durch das Fenster konnten wir einen Mann mit Dreitagebart ausmachen. Und jetzt?
In unserer Aufregung hatten wir die Eingangstüre übersehen. Ich klopfte am Fenster. Er erschrak! Unglauben machte sich auf seinem Gesicht breit, doch als er sah, wie wir beiden Frauen dastanden, zeigte er nach links.
Da war die Haustür.
Er war nicht unsympathisch, so spulte ich wieder meinen Spruch ab, dass wir auf Suche nach einer Unterkunft für diese eine Nacht seien. Nach kurzer Überlegung meinte er, sie würden eigentlich nur im Sommer Gäste annehmen, doch es wäre ja schon so spät. Wir sollten es uns mal ansehen. Eine steile knarrende Holzstiege führte bis unter das Dach. Dort fanden wir mehrere durch dünne Wände abgetrennte Räume ohne Decke, ähnlich einem Kartenhaus. Von den alten Betten, konnte man in den Dachstuhl blicken.
„Besser, als im Auto zu schlafen. Wir bleiben. „Wo kommt Ihr her?“ Ich sagte es ihm. Was, dort habe ich 10 Jahre gelebt! Was? “ Warum sprichst Du dann nicht Deutsch mit uns?“ Wir hörten, dass er verheiratet war, 2 Kinder hat und als Spanischlehrer an der Berlitz-Schule gearbeitet hatte. „Ich habe mein Spanisch auch mit einem Chilenen gelernt! Arturo.“ „Oh, der mit der rothaarigen Frau und der kleinen Nina aus ..?“ „Jaah?“ „Er war mein bester Freund!“ Wow! Meine Gedanken überschlugen sich. Immer diese Zufälle! Viermal mussten wir abgewiesen werden, um jetzt an diesem bizarren Ort diesem Mann zu begegnen? Unfassbar!
Beim Frühstück legte er alte Fotos von Arturo auf den Tisch. Sie beide wären vor vielen Jahren aus politischen Gründen im Gefängnis gewesen, konnten aber mit Hilfe der Kirche nach Deutschland entkommen. Nun wolle er wieder als Lehrer arbeiten. Seine Frau und Kinder, zwang er, mit ihm zurück nach Chile zu gehen. Das hatte die Ehe nicht überlebt.
Aber ich hatte zu Hause etwas zu erzählen.

Maria Bosse-Sporleder

Poska tänav

  1. Meine Schwester und ich steigen in die Tram Nr. 1. „Kadriorg“ steht über der

Fahrerkabine, das ist unser Ziel. Wir wollen das Haus sehen, nach 40 Jahren, in dem

ich die ersten fünf Lebensjahre verbracht habe. „Katharinental“ nannten wir die

Haltestelle damals, Endhaltestelle vor dem großen Park, in den Peter der Große das

Schloss für seine Ehefrau Katharina hatte bauen lassen.

Aufgeregt steigen wir in die Tram. Fahrscheine? Ach! Wo bekommt man denn die?

Hilflos stehen wir da, unfähig, uns auf Estnisch verständlich zu machen. Peinlich. Ich

versuche, irgendwie auf Russisch zu radebrechen.

„Biljeti?“

Da beginnt eine ältere Frau mit Kopftuch, in der ersten Reihe sitzend, in ihrer Handtasche zu kramen und hält uns zwei Fahrscheine hin.

„Skolko rubel?“

Sie nennt etwas zögernd den Betrag, wir zählen ihr die Münzen in die Hand, wiederholen ein Mal ums andere „bolschoi spasibo“ und fallen erleichtert auf die nächsten Sitze. Dieses Abenteuer haben wir bestanden.

Die Tram ruckelt die Narva mantee entlang, über die Weichen, kreischt,

bimmelt, wenn Verkehrshindernisse stören. Wir spüren die kalten Metallbänke, an

die sich unsere Pobacken sofort erinnern, und pressen unsere Nasen ans Fenster.

Erkennst du was? Bald sind wir an der Endhaltestelle, steigen aus, ein freundliches

Kopfnicken und die alte Frau geht ihres Weges.

Dann nehmen wir den Weg durch die Lahe tänav, vorbei an dem Haus, das unserem

Großvater gehört hat, und kommen schließlich beim Haus Ecke Narva mantee und

Poska tänav an. Stumm und staunend stehen wir vor dem zweistöckigen Holzhaus,

während die Tram quietschend um die Ecke biegt. Das Haus. Die braune Farbe

bröckelt ab, die Fensterrahmen ein schmutziges Weiß, die Regenrinnen schief.

Schmuck war es früher gewesen, hatte dem Schokoladefabrikanten Georg

Stude gehört, dessen Tochter mit Familie im Erdgeschoss wohnte, wir im ersten Stock. „Das war doch das Speisezimmer“, sage ich zu meiner Schwester und zeige mit dem Finger auf das Eckfenster. Da öffnet es sich, und zu unserem Erstaunen schaut eben dieselbe Russin heraus, die uns in der Tram ihre Fahrscheine verkauft hat. Sie schaut, lacht, winkt − wir sollen heraufkommen. Also die gewundene Hintertreppe hochgestolpert, so vertraut den Kinderfüßen, und hinein in den schmalen Korridor. Vorbei an der Küche lotst uns die Frau, und wir stehen in dem Zimmer, in dem unser ovaler Speisetisch einst ausladend viel Platz in der Mitte

einnahm. Jetzt trennt eine Wand etwa ein Viertel des Zimmers ab, in diesem

separaten Verschlag lebe ihr erwachsener Sohn, erfahren wir. Im restlichen Zimmer

klemmt sich eine schmale Liege unter einer zerfransten braunen Decke an die Wand.

Dort in den rund 15 Quadratmetern ist sie zu Hause mit all ihren Besitztümern − Schrank, Kommode, Tisch, Stühle, Kisten und Körbe. Alles so anders, so fremd. Und doch – unter meinen Füßen die ochsenblutrot gestrichenen Dielen, auf die ich als Vierjährige aufstampfen wollte, nicht aufstampfen durfte. Und vor dem Fenster sehe ich – auch wenn ich nichts dergleichen sehe − das Meisenhäuschen, in das mein Vater stets ein Stück Speck hängte. Neben uns diese freundliche Frau, die uns die Aufteilung der Wohnung auf vier Mietparteien erläutert, uns hinter die geöffneten Flügeltüren zum Korridor schauen lässt, hinter denen der Topf meiner Schwester und mein Topf standen, denn im ungeheizten Badezimmer könnten wir uns verkühlen, fürchtete meine Mutter. − Als wir uns verabschieden, versprechen wir, wiederzukommen.

 

Und wir haben es getan, viele Male, in den folgenden Jahren, das Haus war jedes Mal etwas mehr verfallen. Ekatarina hieß sie, ihren Nachnamen wusste ich nie.

Dann war sie nicht mehr da, die Wohnung leer, niemand wusste, wo die Russin

geblieben war.

Im nächsten Jahr waren Bretter schräg vor einige Fenster genagelt,

von Jahr zu Jahr die bange Frage: Werden sie das Haus abreißen? Ist es

architektonisch interessant genug, um denkmalgeschützt zu werden? Im vorletzten

Sommer schwante mir Böses: nur noch ein einziges bewohntes Zimmer im

Erdgeschoss, aus dem hinter einem vergilbten Vorhang ein Hund kläffte, als ich

klopfte. Ein Baum im Garten trug eine Plakette: Der Naturschutz hielt den jedenfalls

für erhaltenswert.

Doch im letzten Sommer − ich kann es nicht glauben, mehr als zwei Jahrzehnte sind nach unserem erstem Besuch vergangen – das Haus eingerüstet, Handwerker sägen und hämmern. Ich staune, gehe näher, frage: Ja, das Haus ist gekauft worden, drei Parteien wollen sich Wohnungen einrichten. Schon ist die

abgeblätterte Farbe abgetragen. Und über dem Haupteingang wird gerade das

restaurierte holzgeschnitzte Schmuckdreieck angebracht, das diesen Eingang wohl

immer geziert hat, mir aber nie aufgefallen war. Ich freue mich unbändig. Das Haus

ersteht wie Phönix aus der Asche. Und mir ist, als würde der kleine Teil meines

Lebens, den ich dort verbracht habe, neu beglaubigt.

16.04.2021 Freitext digital 2

Margit Gelhard

Text 1: Illusionen
Nicht immer ist das, was wir sehen, auch wahr. Selbst Tiere machen sich das Phänomen der Sinnestäuschung zunutze, indem sie sich ihrer Umgebung perfekt anpassen, um ihre Verfolger zu verwirren oder dadurch Beute zu machen.
Eine afrikanische Sage erzählt von einem Schmetterling der auf der Flucht vor einem Vogel in ein Mopane-Wäldchen flatterte. Erschöpft musste er sich auf einem Blatt niederlassen und wäre völlig verloren gewesen, hätten sich in diesem Moment nicht die Blätter in die Form eines Schmetterlings verwandelt. Er war gerettet.
In Botswana fuhren wir in einem Landrover einen Kilometer hinaus auf einen Salzsee ohne eine Spur zu hinterlassen. Um uns herum war alles nur noch weiß. Unvermittelt hielt der Fahrer an und meinte: „So, und wer findet jetzt wieder zurück?“ Die Geschichte über sein Erlebnis vor einem Jahr, als das Fahrzeug langsam einsank und sie nur mit großer Mühe wieder herauskamen, überhörten wir lieber. In der Ferne meinten wir Büsche zu erkennen und deuteten in diese Richtung. Nun völlig konzentriert fuhr er weiter, die Büsche aber kamen nicht näher. Wir waren der Fata Morgana in die Falle gegangen. Ohne einen Kompass wären wir wohl verloren gewesen.
In New York hatte ich die Gelegenheit, eine Galerie zu besuchen, in der die berühmte japanische Künstlerin, Yayoi Kusama ihre Bilder, textile Skulpturen und Installationen für kurze Zeit ausstellte. In der Warteschlange erzählte hinter mir ein Mann aus Neuseeland davon, dass er am Vortag vier Stunden in eisiger Kälte und Schneesturm gewartet hatte, um für nur eine Minute in den Infinitiy-Room gelassen zu werden. So nahm ich die halbe Stunde Wartezeit, die jetzt vor mir lag, frierend in Kauf. Endlich im Gebäude, durften nur immer vier Personen für diese 60 Sekunden in den Raum, vor dem wir nun erwartungsvoll saßen. Die Türe öffnete sich und schon war ich umhüllt
von roten Kugeln, ging aber zögernd ein paar Schritte weiter, ohne irgendwo anzustoßen. Es gab kein Unten, kein Oben mehr, kein rechts oder links. Die Farbe änderte sich auf weiß, gelb, blau, grün, dann wieder rot. Viel zu schnell war das Spektakel wieder vorbei. Draußen musste ich mich erst wieder neu orientieren. In einen anderen Raum wurden ebenfalls nur wenige Besucher hineingelassen. Bis auf eine, in der Mitte schräg nach oben-gerichtete, blau leuchtende Leiter war alles um mich herum vollkommen schwarz. Unsicher bewegte ich mich Richtung Licht, dessen Farbe auch hier wechselte. Erst als ich direkt danebenstand, war ich nicht mehr allein. Ein Blick nach unten gab uns das Gefühl, in ein Loch gezogen zu werden. Die Leiter schien ins Endlose zu gehen. Magische Erlebnisse, allein durch die geschickte Einstellung von Spiegeln.
Die optische Täuschung, erst 1889 wurde sie vom deutschen Psychiater und Soziologen Franz Müller-Lyer entdeckt. Wir finden sie in vielen Bereichen des Lebens.
Unsere Sinne sollten immer auf der Hut sein.

Text 2: Arabia Felix 1995
 glückliches Arabien, so nannte man den Jemen, der heute zu den
traurigsten Ländern der Erde zählen dürfte. Gibt es schönere Hochhäuser
als die, in der Hauptstadt Sanaa,
welche zum
Weltkulturerbe
gehört
? Wohl
kaum und aus diesem Grund zog es mich in dieses exotische Land.
Wieder erwachte ich aus einem Traum. Ich lief eine staubige Straße
entlang mit kleinen bunt bemalten Metalltüren und Läden. Hunderte
schwarze Augenpaare starrten mich aus total verhül
lten Gesichtern an,
während sie an mir vorbeihuschten. Waren es wirklich Frauen? Unter den
dunklen
manchmal auch bunten
Stoffhüllen hätten es
ebenso
Männer sein
können
einfach unheimlich. Junge, alte Männer mit düsterem Blick, mit
oder
ohne Turban, Tüche
r, Bärte, alte lange, volle rote, schwarze, weiße
und
mit
dicken Backen voller Kat, in weißen Kleidern mit Blazern darüber.
Sie trugen verzierte Krummsäbel, den Dschambijas, vor dem Bauch.
Manchmal auch ein Maschinengewehr in der Hand.
Ich sah sie stehend,
hockend, lümmelnd auf staubigem Boden vor Läden oder als
Straßenhändler, die Waren anpreisen. Der Lärm der Stadt war
ohrenbetäubend, doch ich lief weiter.
Drei Wochen war es her, dass ich dies erlebte und es beschäftigte mich
weiterhin jede Nacht.
Die
Tour mit dem Jeep hatte ich bereits 5 Jahre zuvor ge
bucht
, doch als
der 2. Golfkrieg ausbrach, abgesagt. In eine Situation, wie
1978
in
Persien, wollte ich mich nicht noch einmal begeben. Auch war immer
wieder von Entführungen die Rede.
Jetzt war ich in
dieser so archaisch anmutenden Welt und fühlte mich wie
in einer Zeitmaschine. Diese Häuser, nein Bauwerke aus Lehmziegeln
mit
Dachterrassen
, bis zu 6 Stockwerke hoch,
angemalt,
wie mit Zuckerguss
übergossen
.
Wohnhäuser mit kunstvoller Ornamentik, buntem
Glas
verzierte Fenster
u. Türbogen in weißen Gipsformen, die das Licht in
verschiedenen Farben in die Räume reflektierten, kleine Türchen,
Fensterläden. Aus einem der winzigen Fenster schaute jemand heraus,
verschwand sofort wieder, als ich hochblickte. Fr
auen müssen unsichtbar
sein.
Der
Gemüsemarkt
ausladende Wagenstände
unter
Sonnenschirmen,
Tomaten, Zucchini, Paprika
Datteln, Nüsse, Rosinen,
alle Farben
Gewürze
,
kunstvoll zu Pyramiden aufgetürmt. Eine neue
Straße
nein, ein
fast
ausgetrocknetes Flus
sbett
,
durch welches Autos,
Lkws, Mopeds holperten. Müllberge. Eine Brücke
die einzige von 5, die
nach dem Erdbeben stehenblieb. Kinder riefen
Sura,
Sura, meinten damit,
dass ich sie fotografieren sollte.
Abends stand ich auf einer Dachterrasse.
Mein B
lick schweifte über zu
trocknende Früchte und Getreide, Wäsche flatterte im Wind.
Die rote
Sonne versank gerade ins Häusermeer, da riefen Muezzins aus allen
Richtungen von Minaretten, die
sich wie
verzierte Bleistifte in den Himmel
reckten,
gleichzeitig zu
m Gebet.
Ein
Gänsehautmoment, Tränen rannen
mir über mein Gesicht.
Seit 2013 herrscht ein erbitterter Bürgerkrieg, den wohl keine Seite je
gewinnen wird
eine menschliche Katastrophe!

Monika Bloch

Familie Lampe macht Rast beim Abendspaziergang
Sie waren schon eine ganze Weile unterwegs, die Lampes mit ihren Freunden. Alle vier Kinder, schon ganz zerzaust vom Spielen im Wald, gaben sich ungeduldig.
„Lasst uns doch mal eine Rast einlegen und ein bisschen auftanken“, schlug Vater Lampe vor. Da vorne ist doch gleich ein geschützter Unterstand, da lässt es sich gut verweilen.
Die Lampes und ihre Freunde fuhren die Kabel aus und hängten sich in die Vorrichtungen an der Decke. Sie schwangen leise in der leichten Brise. „Wie tut das gut“, meint Mutter Lampe, „endlich einmal ausspannen und ein anderes Umfeld haben.
Man wird ja ganz kirrewitt, den ganzen Tag nur am gleichen Ort zu hängen und nichts zu tun zu haben. Und dann am Abend, gleich immer diese Hektik, dieses auf Zack sein und sofort ein Leuchten in die Birne bringen, das bringt mich mal noch um.“ Sie schaukelte energisch hin und her. „Der Krauskopf hängt schon wieder am langen Kabel! Er ist so verspielt. Nimmt mich Wunder, wie lange das geht, bis er das mit der richtigen Kabellänge raushat.
Es ist ja nicht so, dass wir alle unsere Kinder gleichschalten müssen, aber so ein bisschen sich einfügen ins Gehänge, das müsste so langsam doch drin liegen. Ich hoffe, doch sehr, dass er sich bei den anderen das eine oder andere bei deinen Beiden abguckt“, meint ihre Freundin. „Mal ein bisschen mehr Abwechslung als diese ewigen Waldspaziergänge würde uns auch guttun,“ setzt Vater Lampe ein, „ich denke immer, die Flutlichter, die haben es gut. Die haben es geschafft, sind da wo die Kohle rollt, wo so richtig die wichtigen Leute sind. Aber da hätten wir mit mehr Power unterwegs sein müssen, dafür ist es jetzt zu spät – nicht zu ändern, aber trotzdem zu bedauern.“
Die Erwachsenen schweigen, schaukeln und schauen in die Abenddämmerung. Bald wird es Zeit, sich für den Heimweg abzukabeln.

 

Eva Heimböck

Stell dir vor, dir geht ein Licht auf…
In drei Wochen ist Einreichtermin für eine Kurzgeschichte. Die ist Voraussetzung, dass Karin im Herbstsemester einen Platz Seminar „Kurzgeschichten schreiben“ zugeteilt bekommen könnte. Nur die zehn besten werden genommen. Nun lag das Bild vor ihr, dass ihr der Zufallsgenerator als Input zugeteilt hatte. Lampen waren darauf zu sehen, die drinnen, aber doch irgendwie im Wald zu hängen schienen. Cool, hatte Karin gedacht und das Foto an den Bildschirm auf ihrem Schreibtisch gelehnt. Das ist kein Problem, ich liebe solche Bilder, die die Phantasie anregen, wo noch alles möglich ist.
Von den drei Wochen waren nun schon 18 Tage vergangen. Das Foto lehnte immer noch am Bildschirm, allerdings war Karins Freude darüber mittlerweile unsäglichem Frust gewichen, der sich in den letzten Tagen in Selbstbeschimpfungstiraden über sie ergoss. Mir fällt nichts ein, dieses blöde Seminar, warum habe ich mir ausgerechnet das ausgesucht, ich kann doch gar nicht schreiben, schluchzte Karin in ihren Lieblingspolster, den mit dem Katzenkopf und den abstehenden Ohren aus grauem Filz. Im nächsten Moment boxte sie darauf ein und schleuderte ihn in die Zimmerecke. Ich werde was anderes studieren! Nun war die Wut draußen und all ihre Energie aus ihr gewichen. Sie saß in sich zusammengesunken vor ihrem Schreibtisch, das Foto lehnte immer noch am Bildschirm, so, als ob es warten würde, bis Karin sich endlich mit ihm beschäftigt. Und was soll ich nun dafür eine Geschichte schreiben?? Über Lampen, die im Raum, aber irgendwie im Wald hängen? Wer denkt sich so was Blödes aus?
Karin nahm das Foto in die Hand, drehte es hin und her, in der Hoffnung, dadurch zu einer Geschichte inspiriert zu werden.
Doch dann öffnete sie die Schreibtischlade, holte die kleine silberne Bastelschere heraus und schnitt die Lampen inklusive Kabel aus. Das restliche Foto landete im Papierkorb. Stell dir vor, es geht das Licht aus, sag was würdest du dann tun.. summte sie dabei vergnügt den alten Schlager vor sich hin.
Die ausgeschnittenen Lampen fädelte sie auf einen rot-weiße Metzgerschnur auf, spannt sie durch Zimmer und war zufrieden. Bled kannst sein, aber z’helfen muast da wissen, fiel ihr Opas Lieblingsspruch ein. Stimmt, grinste sie glücklich. Ich lass das Seminar sausen, hat mich eigentlich eh nicht interessiert. Mamas wollte immer, dass ich was aus meinem Schreibtalent mache. Nein, aus mit dem Schreiben, dem Germanistikstudium, so was Brotloses! Danke, ihr lieben Lampen, jetzt ist mir ein Licht aufgegangen. Ich werde euch in meiner Biografie als meine erste Installation anführen!
Ich gehe ab Herbst auf die Kunstakademie tippe sie in ihr Handy, drückte auf senden und schaltetet sofort offline. Sie war Mama keine Erklärung mehr schuldig.

 

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